2. Preis

2007 (Barozzi / Veiga GmbH, Chur/Schweiz)


Erläuterungsbericht

Architekturbüro:
Barozzi / Veiga GmbH, Chur/Schweiz
Bearbeitungsteam: Fabrizio Barozzi, Alberto Veiga, Claudio Triassi, Francesco Crocchini, Chiara Saccani, Mahlro Akiyama, Alba Pardina

Architekturbüro:
KOLLEKTIV B | Keul & Gamböck GbR, Leipzig
Bearbeitungsteam: Oskar Gamböck, Dominik Keul, Emma Bujak, Marie Engelking

Landschaftsarchitekturbüro:
GRIEGER HARZER DVORAK Landschaftsarchitekten PartGmbB, Berlin
Bearbeitungsteam: Stefan Grieger, Norman Harzer, Nina Dvorak, Enno Gloyna

Weitere Kooperationspartner/-innen:
B+G Ingenieure Bollinger und Grohmann GmbH, Frankfurt (a.M.)
Bearbeitungsteam: Prof. Manfred Grohmann, Kai Schramme, Alexander Heise, Max Wittich

Transsolar Energietechnik GmbH, Stuttgart
Bearbeitungsteam: Helmut Meyer, Jonas Hildebrandt

Sachverständigen- und Planungsbüro Sascha Puppel GmbH, Erkelenz
Bearbeitungsteam: Sascha Puppel, Maximilian Lott

Beurteilungstext der Jury:
Das Projekt überzeugt in seiner städtebaulichen Setzung – entgegen dem Masterplan – vier einzelne, differenziert ausgearbeitete Gebäude zu einem Ensemble zu ordnen. Es entsteht eine Art Campus, der auch als Ergänzung der jüdischen Schule gedacht wird.

Die beiden Synagogen sind in ihrer Masse und Proportion höchst unterschiedlich ausgeprägt, stehen zueinander nicht in Konkurrenz, sondern ergänzen sich vielmehr. Die achteckige Grundform der Reformsynagoge referenziert auf die achteckige Kuppel der wiedererrichteten Bornplatzsynagoge, ohne diese zu wiederholen. Die flankierenden Neubauten für Verwaltung, Jugendzentrum und Wohnen formen mit ihrer Masse einen klaren Freiraum mit guten Nutzungsmöglichkeiten, der jedoch durch seine verstärkt zulaufende Ausrichtung zwischen Joseph-Carlebach-Bildungshaus und Martha-Muchow-Bibliothek in einen Rückraum statt zur Binderstraße führt.

Alle Gebäude sind in rötlichem Ziegel gehalten, der passenderweise mit dem Material der Schule verwandt ist. Die strenge, radikal reduzierte Formensprache der Reformsynagoge steht in einem wohltuenden Kontrast zur sehr fein detaillierten Fassade der Bornplatzsynagoge. Auch die beiden begleitenden Bauten, unterschiedlich in Höhe und Länge, sind gleichermaßen streng wie fein ausgebildet. So sehr der formale Ausdruck der Reformsynagoge nachzuvollziehen ist, so bietet die Sachlichkeit der Architektur leider emotional zu wenig „Reibung“.

Die äußere Materialität konsequent im Inneren fortzusetzen, erscheint zwar vordergründig richtig, doch können die unzureichenden Lichtverhältnisse und die dadurch entstehende kühle, düstere Atmosphäre in beiden Beträumen nicht zu überzeugen. Dass überdies in beiden Synagogenräumen der Toraschrein vor dem Fenster und die innere Ausrichtung der orthodoxen Synagoge nicht den Vorgaben entsprechend verortet sind, macht eine Umsetzung in dieser Form unmöglich.

Funktional erweist sich das Projekt äußerst komprimiert. So ist im Baukörper 1 neben dem Gemeindesaal die Bibliothek ebenfalls unterhalb des Synagogenraums untergebracht. Das großzügige Foyer im Erdgeschoss findet hierbei keine adäquate Lösung zur Erschließung des Synagogenraums und des unmittelbar anschließenden Kiddusch nach dem G’ttesdienst.

Im Bau der Reformsynagoge sind Foyer, Kidduschraum und Synagogenraum gestapelt. Dem schlanken Baukörper entsprechend werden erfreulicherweise der Aufwand und das Ausmaß der Erschließung minimiert, die Anforderung des Zusammenschaltens beider Räume allerdings auch unmöglich gemacht.

Die beiden Gebäude mit Jugendzentrum und Wohnungen einerseits, Verwaltung und Café andererseits sind im Grundriss klar und einfach gelöst. Lediglich das Café ist durch seine Lage innerhalb des Gebäudes und im städtebaulichen Gefüge aus Sicherheitsgründen in der Form nicht umsetzbar. Das Untergeschoss zeigt exakt die Grundflächen der aufsteigenden Gebäude und verzichtet auf Unterbauung und zusätzliche Versiegelung. Allerdings verbinden lichtlose Gänge die Gebäude. Die beiden Lichthöfe für die Küchen stellen auf jeden Fall ein lösbares Sicherheitsproblem dar.

Die Verdichtung der Flächen im gesamten Projekt führt zum sparsamen Umgang mit der Fläche und ist Ausdruck einer kostenbewussten Planung, sowohl im Bau wie in der Bauerhaltung.

Insgesamt stellt das Projekt eine städtebaulich wie hochbaulich eine dem Ort und der Aufgabe überzeugende Lösung dar, die sowohl der Erinnerung wie auch dem Neubau Raum gibt. In der Gesamtbetrachtung kann der Entwurf jedoch die funktionalen Anforderungen des jüdischen Alltags nicht hinreichend erfüllen und atmosphärisch die gewünschte Wirkung des Wiederaufbaus der Bornplatzsynagoge nicht vollends erreichen.

Freiraum
Das Freiraumkonzept setzt auf eine klare Trennung zwischen vegetationsgeprägten Platzräumen auf der Nordseite der orthodoxen Synagoge und einer mineralischen Südseite, so dass hier ein fast linearer Platzraum entsteht, der allerdings eine Weiterführung zu wünschen scheint, die heute nicht existiert. Die Verbindung zwischen Allende- und neuem Bornplatz wird durch die freistehende Reformsynagoge gebildet. Der absperrbare Freiraum liegt im hinteren Bereich und wird durch teilweise sehr lange temporäre Zäune mit Schiebetoren gesichert. Mit den langgezogenen Lichtschächten entlang der Seite der Synagoge entstehen fragwürdige Vorzonen zum zentralen Bauwerk, die gleichzeitig eine Sicherheitsschwäche darstellen. Der Platzraum ist durch flache Stufen – kombiniert mit Bäumen und Heckenbändern – zum Straßenraum abgegrenzt, was sicherheitstechnisch nicht ausreicht, aber eine mögliche Richtung andeutet.

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